RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln
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1433-0172
Zeitschrift für Immobilienrecht
ZfIR
2016
Aktuell
BVerfG: Keine rückwirkende Festsetzung von Kanalanschlussbeiträgen wegen Vertrauensschutzverletzung
Das BVerfG hob zwei Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg über die Festsetzung von Beiträgen für den Anschluss von Grundstücken an die Schmutzwasserkanalisation auf und verwies die Sachen zur erneuten Entscheidung zurück (BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14). Nach der vor dem 1. 2. 2004 gültigen Fassung von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg hätte von den Beschwerdeführerinnen, zwei Immobilieneigentümerinnen aus Cottbus, kein Beitrag mehr erhoben werden können. Die Anwendung einer seit dem 1. 2. 2004 gültigen Neufassung entfalte bei ihnen daher eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.
Zum Verfahren: Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Kanalanschlussbeiträgen auf Grundlage von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG). Die erste Beitragssatzung der Stadt erwies sich als unwirksam. Eine wirksame Satzung trat erstmals zum 1. 1. 2009 in Kraft. Das Grundstück der Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2961/14 war bereits vor dem 3. 10. 1990 an die Schmutzwasserkanalisation angeschlossen worden; der Bescheid über den Kanalanschlussbeitrag datiert auf den 29. 11. 2011. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 3051/14 wurde mit Bescheid vom 12. 5. 2009 zu einem Kanalanschlussbeitrag herangezogen; die Möglichkeit des Anschlusses an die Schmutzwasserkanalisation hatte für dieses Grundstück nach ihren Angaben bereits kurz nach dem 3. 10. 1990 bestanden. Widersprüche und Klagen blieben insoweit ohne Erfolg.
Nach der ursprünglichen Fassung (a. F.) des § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes entstand die Beitragspflicht, „sobald das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung“. Das OVG legte dies mit vom Urteil vom 8. 6. 2000 so aus, dass es „nicht auf die formelle und materielle Gültigkeit dieser Satzung, sondern ausschließlich auf den formalen Akt des Satzungserlasses“ ankomme. Mit Wirkung zum 1. 2. 2004 änderte der Landesgesetzgeber die Vorschrift dahingehend (n. F.), dass die Beitragspflicht „frühestens … mit dem Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung“ entstehe. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, die Rechtsprechung habe die alte Fassung entgegen der Intention des Gesetzgebers ausgelegt. Dies habe zu großen Beitragsausfällen geführt, da Ansprüche nicht mehr innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist hätten geltend gemacht werden können. Um künftige Beitragsausfälle zu vermeiden, werde eine Klarstellung vorgenommen.
Das BVerfG kam zu dem Ergebnis, dass die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzen.
(Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 94/2015 vom 17. 12. 2015)